Dienstag, März 27, 2007

MICHAELIS PANTELOURIS

Wir reden über die Schule. Ein wunderbares Thema, wenn man jemanden kennen lernt. So viele gemeinsame Erlebnisse, fünfhundert Kilometer voneinander entfernt. Unser Deutschlehrer muss die selbe Person gewesen sein: Das gleiche knittrige Hemd mit den Schweißflecken unter den Armen; die gleichen Resthaare, morgens sorgfältig über den breiten Scheitel gelegt, um halb elf in alle Richtungen abstehend, dieselben Floskeln zu Goethes Faust. Soviel Erinnerungen. Es ist, als hätten wir Zettelchen an die gleichen Mädchen geschickt, durch vier Bankreihen. Mit kleinen Kästchen zum ankreuzen: "Willst Du mit mir gehen? Ja, nein, vielleicht?" Wir haben die gleiche Vergangenheit. Mit einem Unterschied: Ich war Waldorfschüler. "Ach so, Baumschule". Es ist wieder soweit, ich habe mein Geständnis abgelegt. Mein Gegenüber grinst mich an. Ist nicht böse gemeint, soll das Grinsen bedeuten. das weiß ich. Es ist nie böse gemeint. Die ersten hundert Mal war es ja auch noch ganz witzig.


Trotzdem ist er jetzt da, dieser Berg zwischen uns. Ein Berg aus Geschichten, Gerüchten und Missverständnissen. Ein Berg aus violetten Wollpullovern, Bienenwachskerzen und selbstgeschnitzten Salatbestecken. Ein Berg aus Vorurteilen auf der einen und Komplexen auf der anderen Seite. Jetzt fangen die bescheuerten Fragen an. Ich habe mich schon oft über die Leute geärgert, die offensichtlich glauben, wir wären die Kinder einer reichen Öko-Sekte, gehirngewaschen und komisch. Dann habe ich festgestellt, dass ich selbst so viele von den merkwürdigen Dingen nicht verstehe, die Waldorfschulen von anderen Schulen unterscheiden. Vielleicht kriecht dann der Zweifel meinen Rücken hoch, vielleicht haben sie ja alle recht? Vielleicht bin ich wirklich ganz anders und gehöre nicht dazu.



Eurythmie zum Beispiel ist eine Kunstform. Eine Art Tanz zu Musik oder Sprache, den man lernt, wenn man auf die Waldorfschule geht. Man läuft herum und gestikuliert mit ernstem Gesicht, und meist in getragenem tempo. Mit den Armen formt man Buchstaben. Tatsache ist: Alle Waldorfschüler machen das zwölf Jahre lang. Und es sieht albern aus. Jetzt sitze ich hier und frage mich, ob ich nie mehr lässig sein kann, nur weil ich mal Eurythmie gemacht habe. Was kann ich dafür? Ich bin einfach zur Schule gegangen.



Mein Gesprächspartner grinst. Ich weiß nicht was er denkt, aber ich ahne die Richtung. Vielleicht bin ich paranoid. Aber wie sollte ich das nicht sein? Ich gehöre zu einer mysteriösen Minderheit. Nach dem, was ich über Waldorfschulen höre, bin ich aufgezogen worden. In mit Naturschwämmen blassblau gewischten Räumen ohne Ecken und habe zu sphärischen Flötenklängen Kittel aus selbstgesponnener Wolle gewirkt. Ich habe Aquarelle getupft, während im Ofen das aus selbstangebautem Dinkel aufging. Natürlich ist das alles nicht wahr. Aber irgendwie auch nicht ganz falsch. All das gibt es. Nur bedeutet es nicht, das wir nicht ganz normale Schüler sind. Sein können. Hoffe ich. Alles das ist Vermächtnis eines einzigen Mannes: Rudolph Steiner, Physiker, Goethe-Fan und Gründer einer Schule für die Kinder der Arbeiter der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabriken in Stutgart. Auf dem Photo, das im handgeschnitzten Holzrahmen in der Schule hängt, guckt er streng. Sollte sein Leben einmal verfilmt werden, müsste ihn Jeremy Irons s

pielen. Dasselbe harte Charisma. Steiner hat 354 Bücher mit Aufzeichnungen hinterlassen. Neben Eurythmie und Waldorfpädagogik auch noch neue formen der Architektur, der Medizin, der Landwirtschaft, der bildenden Kunst, der Politik, der Religion. Die gesammelten Weisheiten nannte er Antrosophie, die Lehre vom Menschen. Ihm ist es zu verdanken, dass es in jedem Jahr 66000 deutsche Schüler gibt, die stricken müssen, die ohne Notendruck lernen sollen, die sich entfalten, ihren Talenten entsprechend gefördert werden und auf keinen Fall fernsehen und Fußball spielen dürfen. Ich war so einer. Was Steiner tatsächlich zum Fußballspiel gesagt hat, ist unklar. Mir zumindest. Bei der Menge von Büchern kann jeder gefahrlos alles behaupten, was Steiner angeblich gesagt hat. Ein locker dahingeworfenes " aber Steiner schreibt doch in Band 237 der Gesamtausgabe, dass..." gibt einem automatisch recht. Niemand hat das alles gelesen. Vor allem, weil in keinem der Bücher auch nur ein einziger auf Anhieb verständlicher Satz steht
. Es kann jeder alles so verstehen, wie es ihm am besten passt. Möglicherweise gibt es Stellen über Wollunterwäsche, aber ich bezweifle das. Allerdings weiß ich, dass Rudolph Steiner 1925 gestorben ist. Zum Fernsehen hat er demnach gar nichts gesagt. Waldorfschüler sind sensibel, musisch, verträumt und sozial, habe ich gehört. Aha. Waldorfschüler sind schlecht in Mathe, sind arrogant, weltfremd, irrational und langweilig. Das habe ich auch gehört. Ich habe im Fernsehen gesehen, dass ich auf einer Sektenschule war und für immer gestört bin. Ich habe im Radio gehört, Waldorfschüler würden gerne eingestellt, weil sie teamfähig seien und in großen Zusammenhängen denken könnten. Ach so. Noch nie habe ich gehört, dass Waldorfschüler ganz normale Menschen sind, mit Stärken und Schwächen wie jeder andere auch. Offenbar sind wir anders. Dafür bezahlen unsere Eltern ja auch bis zu 650 Mark Schulgeld im Monat. Ich denke, meine Eltern sind sich noch nicht sicher, ob das gut angelegtes Geld war. Ich bin weder musisch beg
abt noch kann ich Physik. Oder Chemie. Oder Biologie. Und ich bin ein Versager in Eurythmie. Bin ich anders? Wenn ja, liegt das an der Schule oder daran, dass alle von uns erwarten, anders zu sein? Ich weiß es nicht. Mein Gegenüber schaut mich immer noch an und wartet offensichtlich auf eine Antwort. Okay, der alte Baumschul-Witz. Weil wir den so genannten Gartenbau-Unterricht hatten in der Schule. Ich habe nicht nur Bäume gepflanzt, ich habe in der Schule auch gestrickt, getöpfert, gezimmert, geschnitzt, geschmiedet, Bücher gebunden, und was weiß ich noch alles, ich bin weder Künstler geworden, noch übermäßig religiös, noch Terrorist. Wir waren 40 Leute in meiner Klasse. Drei sind Musiker geworden, einer Musicaltänzer, einer Schauspieler. Ich weiß nicht, ob das ein normaler Schnitt ist. Zwei oder drei von den Jungs sind schwul. Sieben Mitschüler von mir sind vier Jahre nach dem Abi schon Eltern. Es gibt Mediziner, Mathematiker, Friseusen und Tischler, eine Gymnastiklehrerin, eine Tiermedizinerin und einen D
rogendealer. Einen oder zwei Vegetarier. Keinen Banklehrling. Keiner der Jungs ist zum Bund gegangen, alle Tauglichen haben verweigert. Manchmal glaube ich, wir sind einfach durchschnittliche Jungs und Mädchen. Manchmal bin ich mir nicht sicher.



"Staatsschüler" hießen die anderen bei uns, die Gymnasiasten und Realschüler von nebenan. Das klingt arroganter als es gemeint ist, aber wir hatten schon das Gefühl, irgendwie exklusiv zu sein. Trotzdem hieß Staatsschüler immer auch "normal", denn wir glauben tief drinnen alles, was über uns erzählt wird. Das wir schlechter in der Schule sind. Dass wir anders sind. Dass wir in einer Parallelwelt gelebt haben, die mit der Realität nichts zu tun hat. Jeder Waldorfschüler, der schlecht in Mathe ist, denkt, es liegt an der Schule. Auf dem Gymnasium lernt man schließlich ganz anders, mit mehr Druck, härter, irgendwie realer. Zumindest glauben wir das. Ich hatte nie ein Problem mit dem Buchstaben-Tanz. Ich habe seit der ersten Klasse Eurythmie gemacht, es war einfach normal. Außerdem dürfen jetzt alle mal raten wonach die Eurythmics benannt sind. Eben. Über die Wollunterwäsche-Anthroposophen haben wir uns lustig gemacht, aber mehr auch nicht. Mir kam unsere Schule altmodisch vor, das ja. Immerhin ist Steiner seit
über 70 Jahren tot und trotzdem benutzt man immer noch exakt seine Worte. Es klingt einfach alles verstaubt, versteinert. Ich bin rückblickend gerne zur Schule gegangen. Ich habe nie eine andere Schule gekannt. Ich werde oft gefragt, ob ich meine eigenen Kinder auf eine Waldorfschule schicken würde. Ja, wahrscheinlich würde ich. Es ist schwer für mich, ein System in Frage zu stellen, in das ich sozusagen hineingeboren wurde. Ich kann ja auch das Christentum hinterfragen ,aber ich werde es nie als etwas zutiefst Merkwürdiges empfinden. Wäre ich woanders geboren, wäre das vielleicht nicht so. Ich werde die Waldorfschule nie als etwas Außergewöhnliches empfinden, dafür ist mir das alles zu vertraut. Worte wie "Weltengeister", "Ätherleib" oder "Elementarwesen" kommen sicher den meisten merkwürdig vor. Mir nicht. Ich kann keinen der Begriffe wirklich erklären. Sie interessieren mich nicht mehr, als mich Physik interessiert. Praktisch gar nicht, ich bin einfach zur Schule gegangen.



Ich sollte etwas sagen. Immerhin wollte der Typ mich provozieren. Wir stehen in einer ganz normalen Kneipe am Tresen, umgeben von ganz normalen Menschen. Es ist ein durchschnittlicher Tag und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass ich gerade in diesem Moment genau hierher passe. Es muss ein gutes Gefühl sein, als außergewöhnlich betrachtet zu werden, wenn man auch bewusst auch etwas Außergewöhnliches getan hat. Es ist aber ein nerviges Gefühl, als exotische zu gelten für etwas, das einem völlig normal vorkommt. Noch so ein Gerücht ist, dass Waldorfschüler reiche Eltern haben. Meine sind nicht reich. Trotzdem kommen Eltern wahrscheinlich eher auf die Idee, ihre Kinder auf eine Privatschule zu schicken, wenn sie zuviel Geld haben. Einige Waldorfschüler haben reiche Eltern. Nicht jeder hat ein Cabrio zum Achtzehnten gekriegt, aber es gab welche. Mit den meisten Gerüchten und Vorurteilen ist es genauso: Im Kern ist etwas dran. Wir machen all diese komischen Dinge. Und was viel schlimmer ist: Wir wissen oft
nicht einmal, warum. Wir haben manchmal das Gefühl, was wir machen sei besser als das, was andere machen. Dann wieder finden wir es absolut scheiße. Sicher bleibt die Schule ein Stück Identität, denn schließlich müssen wir uns laufend damit auseinandersetzen, dass wir auf einer anderen Schule waren als die meisten. Ein bisschen ist es wie Ossi sein oder das Kind von einem Politiker. Eigentlich ist es egal, es prägt vielleicht ein bisschen, aber es macht den Menschen nicht aus. Ich gehe in die Offensive. Was soll das Drum- Rumreden? "Hast du irgend ein Problem mit Waldorfschülern?" frage ich Ihn. Er grinst einfach weiter. Dann sagt er: "Nein". Und nach einer Pause: "Selbst Jahrelang einer gewesen." Mein Gott, ist der Kerl bescheuert!



Aus SZ, Jugendmagazin Nr.38/1998

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Habe gerne auf deinen Artikel (http://nerone.wordpress.com/2007/04/03/ein-netter-monolog/) hingewiesen. Gut erzählt.

Anonym hat gesagt…

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Danke sehr an den Webmaster.

Gruss Daniela